Die Geschichte der Sammlung
Die Sammlung des Winckelmann-Instituts hat eine bewegte Geschichte, die aufs Engste mit den jüngeren historischen Ereignissen Berlins und Deutschlands verknüpft ist. Dies zeigt, dass die Sammlung ständig im Wandel ist, sich an gesellschaftliche Veränderungen anpassen muss und sich immer wieder neu erfinden kann.
Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Archäologie an der Berliner Universität begründet wurde, führte Eduard Gerhard als Professor die ersten Anschauungsmaterialien für den akademischen Unterricht ein. Dies war der sog. Archäologische Apparat, der vor allem Blätter mit Abbildungen von antiken mythologischen Bildern beinhaltete.
Bis wirklich eine Sammlung an der Universität entstand, sollte es aber noch mehr als ein halbes Jahrhundert dauern. Erst als im Jahr 1911 Georg Loeschcke an die Berliner Universität berufen wurde, begannen umfangreiche Anstrengungen zur Gründung einer eigenen Lehrsammlung. Im Vergleich zu anderen archäologischen Sammlungen an deutschen Universitäten mag dieser relativ späte Zeitpunkt verwundern; zuvor bestand für eine Universitätssammlung in Berlin aber offenbar kein Bedarf, waren doch die vorherigen Ordinarien jeweils auch Direktoren der unmittelbar benachbarten Antikensammlung auf der Museumsinsel gewesen.
Dies änderte sich unter Georg Loeschcke, der von der Bonner Universität kam und von dort bereits eine umfangreiche Lehrsammlung und ihren Nutzen kannte; mit ihm wurde die Personalunion zwischen Universität und Königlichen Museen aufgehoben. Die logische Konsequenz war, dass er bei seinen Berufungsverhandlungen auf die Einrichtung einer Lehrsammlung beharrte, zumal nun auch die Gipsabguss-Sammlung der Königlichen Museen an die Universität ging. Um diesem Platzanspruch gerecht zu werden, wurde das Universitätsgebäude erweitert und der Sammlung das Obergeschoss des neuen Westflügels zugesprochen. Hinzu kam ein Budget, mit dem originale Vasen und Kleinfunde überwiegend im Ausland angekauft wurden.
Georg Loeschcke konnte die Eröffnung der Lehrsammlung jedoch nicht mehr miterleben. Der Erste Weltkrieg und Loeschckes plötzlicher Tod im Jahr 1915 verzögerten die Arbeiten. Erst 1921 wurde die Sammlung unter dem neuen Ordinarius Ferdinand Noack in 24 Räumen eingeweiht, die damals als eine der größten ihrer Art weltweit galt. Ein Charakteristikum dieser Zeit waren die Farbfassungen der Wände in intensivem Rot, Blau und Grüngrau, vor denen sich die Gipse stark abhoben.
Als 1932 Gerhart Rodenwaldt die Professur für Archäologie übernahm, konnte er noch nicht ahnen, welchen ungewissen Zeiten die Sammlung entgegensteuerte. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich vieles an der Universität. Rodenwaldt nutzte die Lehrsammlung, um die Archäologie an der Universität zu stärken. Besonders deutlich wird dies durch die Ausstellung „Die Bildwerke von Olympia“, die anlässlich der Olympischen Sommerspiele in Berlin im Westflügel der Universität gezeigt wurde und die laut Berichten 14.000 Besucher innerhalb von 2 Wochen verzeichnete. Rodenwaldt nutzte diesen Anlass, um die Räume der Abgüsse zu verändern: Statt der intensiven Farben und Kontraste folgte er der damaligen museologischen Auffassung und ließ die Wände in einem lichten Grau streichen.
Mit dem 2. Weltkrieg und den folgenden Luftangriffen auf Berlin gab es weitere Veränderungen in der Sammlung. Nach ersten leichteren Bombenschäden wurden die Vasensammlung und einige Gipsabgüsse ausgelagert. Der Großteil der Abgüsse musste jedoch im Gebäude verbleiben. Und so kam es, dass die Sammlung bei Bombentreffern enormen Schaden nahm und teilweise nur noch einem Trümmerfeld glich. Rodenwaldt, zutiefst getroffen von der Gesamtsituation und persönlichen Schicksalsschlägen, wählte den Freitod.
Nach der Kapitulation Deutschlands und der Aufteilung Berlins durch die Siegermächte gelangte die Sammlung der Originale zusammen mit den Sammlungen auf der Museumsinsel 1949 als Kriegsbeute in die Sowjetunion. Auch um die Abgüsse stand es nicht gut: Der großzügige Platz der Sammlung im Gebäude fiel Umbaumaßnahmen für neue Büros zum Opfer. Zahlreiche Gipsabgüsse wurden zielgerichtet zerstört, und nur ein geringer Teil konnte gerettet werden. An eine Wiedereröffnung der Lehrsammlung war nun erst einmal nicht mehr zu denken.
Als in den frühen 1960er Jahren die Museumsbestände aus der Sowjetunion zurückkehrten, hatte sich der Bestand an Originalvasen um etwa die Hälfte reduziert. In der Zeit der DDR-Zeit führte die Sammlung in den Kellerräumen der Universität ein Schattendasein. Erst mit der Wende und der Neugründung des Instituts rückte auch die Lehrsammlung wieder in das Bewusstsein. Unter Henning Wrede und Veit Stürmer entstanden Neuaufstellungen in einem Teil der ehemaligen Sammlungsräume und wurden einige neue Gipsabgüsse angeschafft.
Heute ist die Sammlung insgesamt eine ganz andere als vor 100 Jahren. Der Großteil der noch erhaltenen Gipsabgüsse ist in einem desolaten Zustand und eingelagert; nur wenige Abgüsse können gezeigt werden, zu denen die nach der Wende erworbenen Bauskulpturen vom Zeustempel in Olympia gehören. Die noch erhaltenen Vasen geben zusammen mit Leihgaben der Staatlichen Museen einen Überblick über die Entwicklung dieser Gattung durch die Epochen. Aber es tut sich etwas in der Sammlung: Neue Forschungsprojekte arbeiten mit den historischen Materialien, die digitale Welt hat Einzug gehalten, die Neuerwerbung der Laokoon-Gruppe und ihre Ausstellung haben eine intensive Forschungsdiskussion angeregt, und die Sammlung ist zu einem Ort der Begegnung und des Austauschs mit Wissenschaftler*innen, Interessierten und Schüler*innen zu diversen Themen geworden. Und mit dem Fortschreiten der Zeit wird sich die Lehrsammlung immer wieder verändern…
Agnes Henning