Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissen­schaftliche Fakultät - Institut für Archäologie

Arbeitskreis Multimodale Kommunikation im Alten Ägypten

(seit April 2021, Organisation: Silvia Kutscher, Aleksandra Lapčić, Dina Serova, Kristina Hülk)

Das Phänomen des gleichzeitigen Zusammenwirkens verschiedener semiotischer Ressourcen in menschlichen Kommunikationsakten wird als Multimodalität bezeichnet. Während die in jüngerer Zeit sich etablierende semiotisch-linguistisch orientierte Erforschung dieses Zusammenwirkens intensiv mit Kommunikationsakten der rezenten europäischen und angelsächsischen Kulturen befasst ist, werden Kommunikate aus dem Altertum und deren multimodale Eigenschaften dort bislang kaum berücksichtigt. Graphische Kommunikate wie Texte, Bilder und Text-Bild-Kompositionen stellen in der Ägyptologie anderseits zwar typische Forschungsobjekte dar, die in der aktuellen Multimodalitätsforschung herausgearbeiteten semiotischen Aspekte und das daraus resultierende Synergiepotenzial werden aber nur begrenzt in die Diskussion miteinbezogen. Die Ansätze der semiotisch-linguistischen Multimodalitätsforschung bilden jedoch einen fruchtbaren methodischen Rahmen für die Auseinandersetzung mit dem altägyptischen Material, der nicht nur neue Perspektiven eröffnet, sondern auch eine interdisziplinäre Anschlussfähigkeit ermöglicht (u.a. Kutscher 2020).

Phase 1: Texträume - Raumtexte. Dimension der Multimodalität im pharaonischen Ägypten

Menschen agieren, interagieren und kommunizieren multimedial und -modal in sozialen sowie in physischen Räumen. Insbesondere die Dimensionalität als semiotische Ressource stellt daher ein spannendes Forschungsfeld dar. Einerseits sind räumliche Relationen essentiell für die Bedeutungskonstituierung innerhalb eines Artefakts. So liefern räumliche Interdependenzen und Bezüge graphischer Elemente zueinander in der zweidimensionalen Fläche (Texte und Bilder im Flachbild) oder auf einem dreidimensionalen Körper (Texte und Bilder auf dem Rundbild) selbst semiotische Beschreibungsparameter für die Ressource Raum auf der Ebene des Kommunikats. Artefakte wiederum stehen in Bezug zu topographischen Gegebenheiten (Baukomplexe, Landschaftsaspekte, Himmelsrichtungen). Ebenso lassen sich Bezugnahmen zwischen verschiedenen Kommunikatselementen und verschiedenen Artefakten im dreidimensionalen Raum festmachen (etwa Texten, Bildern, Statuen, architektonischen Elementen zueinander in einem Sarg, Grab, Gebäude oder Gelände). Diese konstituieren semiotische Parameter der Ressource Raum auf Kommunikatsebenen höherer Ordnung sowie für die Analyse der Kommunikationssituation im Ganzen.

Die Dimensionalität graphischer Kommunikation, der Raum als semiotische Ressource und die Relevanz von Ortsgebundenheit für die Sinnkonstituierung sind daher zentrale und fruchtbringende Untersuchungsgrößen. Innerhalb der Ägyptologie werden sie seit längerem erforscht, in ihrer Funktion als semiotische Ressourcen in einem multimodalen Kommunikationsakt hingegen wurden sie bisher selten stringent methodisch und theoretisch betrachtet.

Der Arbeitskreis Multimodale Kommunikation im Alten Ägypten (MKÄ) soll ein Forum bieten, Fragen der Multimodalität für Kommunikate pharaonischer Zeit aus dem Raum Ägypten und Sudan unter Einbeziehung der semiotisch-linguistischen Forschungsansätze gemeinsam zu diskutieren. Dabei wollen wir uns in der ersten Phase unter dem Schwerpunkt Texträume – Raumtexte mit Fragen der semiotischen Wirksamkeit von Dimensionalität befassen.

Die Ziele des Arbeitskreises sind zum einen die Entwicklung theoriebasierter und stringenter Analysewerkzeuge für das altägyptische Material durch eine Verschränkung semiotisch-linguistischer Ansätze der Multimodalitätsforschung mit ägyptologischen Wissensbeständen; zum anderen, die Anwendung sowie Nutzbar- und Zugänglichmachung neuer technologischer Werkzeuge zur Annotation und wissenschaftlichen Abfrage von Daten des untersuchten Artefakts im Text-Objekt-Raum-Kontinuum. Die Ergebnisse der gemeinsamen Diskussionen und Bemühungen sollen auf lange Sicht in Form von gemeinsamen schriftlichen Beiträgen in Tagungssammelbänden und anderen, z.B. digitalen Formaten, gebündelt veröffentlicht werden.

Der Arbeitskreis steht in der Tradition thematisch verwandter Veranstaltungen am Institut für Archäologie der Humboldt-Universität zu Berlin der vergangenen Jahre (2017 Pictures and Texts – Pictures as Text: Iconicity and Indexicality in Graphic Communication; 2019 Co-Location and Interrelation of Meaning: Nested Meaning in Ancient and Modern Sign Systems), konzentriert sich aber auf einen fachlich engeren Kreis ägyptologischer und sudanarchäologischer (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen.