Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissen­schaftliche Fakultät - Institut für Archäologie

Verwaltung in Ägypten: die 1. Hälfte des 3. Jahrtausends

Karte mit Fundorten von gesiegelten Verschlüssen aus dem 3. Jahrtausend
Abb.: Karte mit Fundorten von gesiegelten Verschlüssen aus dem 3. Jahrtausend (Abb.: Eva-Maria Engel)

Viele Jahrhunderte lang hat eine funktionierende Verwaltung es den Regierenden in Ägypten ermöglicht, über ausreichende Ressourcen zu verfügen, die zum Erhalt der Herrschaft, aber auch zum Schaffen vieler Objekte der materiellen Kultur eingesetzt wurden, die dem Fach Ägyptologie u.a. als Quellen zur Verfügung stehen.

Daher ist die Beschäftigung mit Äußerungen der Verwaltung dieser Ressourcen auch für Frühzeit und Altes Reich seit langem ein Thema ägyptologischer Forschung. Ausgangspunkt sind für das Alte Reich oft die Selbstzeugnisse von Funktionären, die in ihren (zumeist aus funerärem Kontext erhaltenen) Darstellungen Titel einschlossen, welche sie durch die Mitarbeit an einzelnen Verwaltungszweigen erhalten hatten (Helck 1954; Kanawati 1977; Strudwick 1985; Jones 2000). Erst in den letzten Jahren wurden häufiger Untersuchungen zu bestimmten Themenbereichen durchgeführt (z.B. Baud 1999; Desplancques 2006; Moreno Garcia 2007; Papazian 2012). Daneben existieren Abdrücke von Rollsiegeln (Kaplony 1977-81), die allerdings bislang für die Rekonstruktion der Verwaltung nur wenig Beachtung erfahren haben.

In der Frühzeit sind dagegen Titulaturketten von Offiziellen noch vergleichsweise selten, so dass hier Abdrücke von Rollsiegeln eine größere Bedeutung für die Analyse haben: Den Anfang der systematischen Auswertung dieser Objektgattung machte 1963 Peter Kaplony hauptsächlich mit Funden aus zumeist elitär-funerärem Kontext (Nekropolen von Abydos und Saqqara). Durch diese Objekte, die häufig einen Königsnamen zusammen mit einzelnen Verwaltungsinstanzen nennen, sind bereits zahlreiche Institutionen bekannt (Helck 1987; Endesfelder 1980/2011; Andrassy 1987/2008; Engel 2013). Allerdings stand bislang nur ein kleiner Ausschnitt aus den ursprünglich vorhandenen Verschlüssen mit Siegelabrollungen zur Verfügung, da bei den Ausgrabungen in Abydos Ende des 19. Jahrhunderts die kleineren Fragmente aus Nilschlamm oft übersehen worden waren. Siegel bzw. deren Abdrücke waren außerdem in der Folge zumeist als Selbstzweck – wie alles Schriftliche aus dieser Epoche – angesehen worden, da die Funktionen der Schriftträger ignoriert wurden; das änderte sich erst in den letzten Jahren (Engel/Müller 2000; Pätznick 2005; Bussmann 2014), so dass jetzt zwischen den ursprünglich verschlossenen Objekten (Behälter, Türen, Papyri) unterschieden werden kann, um den Aufgabenbereich der siegelnden Institutionen genauer zu bestimmen.

Abb.: Kegelförmiger Verschluss eines Weingefäßes aus Taffl aus dem Grab des Chasechemui (Foto: Eva-Maria Engel)
Abb.: Papyrusverschluss aus dem Grab des Chasechemui in Abydos (Foto: Fritz Barthel, © DAI Kairo)

Durch die detailliertere Beobachtung der Befunde und Funde bei archäologischen Untersuchungen stehen somit inzwischen an vielen Fundplätzen aus Frühzeit und Altem Reich zusätzliche Fragmente von Verschlüssen mit (Resten von) Siegelabrollungen zur Verfügung: Dies gilt sowohl für Grabungen in Nekropolen, wo allein am Grab des Chasechemui in Abydos durch die Nachgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts mit geschätzt etwa 10.000 Fragmenten das vermutlich größte Inschriftenkorpus dieser Epoche aufgedeckt wurde, als auch für Siedlungs- und Tempelgrabungen, bei denen nun ebenfalls auch kleinste Fragmente erkannt werden (Buto: von der Way 1988, Kaplony 1992, Faltings/Köhler 1996, Faltings 2000; Tell el-Farkha: Kołodziejczyk 2012; Tell el-Iswid: Regulski 2014; Abusir: Verner 2006; Giza: Nolan 2010; Saqqara: Regulski/Kahl 2010; el-Bershe: Harco Willems, pers. Mitteilung; Hierakonpolis: Bussmann 2011, 2014; Elephantine: Pätznick 2005).

Abb.: Blick in das Arbeitszimmer während des Sortierens der ungefähr 10 000 Fragmente von Gefäßverschlüssen aus dem Grab des Chasechemui in Abydos (Foto: Eva-Maria Engel)
Abb.: Schachtel mit unsortierten Fragmenten von Verschlüssen aus Taffl aus dem Grab des Chasechemui in Abydos (Foto: Eva-Maria Engel)

Im Rahmen des Projektes sollen Siegelabrollungen aus Elephantine, Naqada (sog. Menes-Grab), Abydos (B-Friedhof und Grab des Chasechemui) und Buto untersucht werden. Ziel des Projektes ist es, erstmalig die Organisation von lokaler Verwaltung an verschiedenen, sich zeitlich vom Beginn der 1. Dynastie bis in das Alte Reich überschneidenden Fundorten zu fassen (siehe Tabelle Datierung der Verschlüsse). Die große Menge von etwa 14.000 Fragmenten, die das bislang veröffentlichte Material von anderen Fundorten bei weitem übertrifft (die größten Konvolute bei Kaplony 1977-81: ca. 830 Siegel aus dem Alten Reich; Nolan 2010: ca. 1130 Abrollungen aus Giza; Verner 2006: ca. 250 Abrollungen aus Abusir), bietet Gelegenheit, Befunde zu kontrastieren und dadurch zu interpretieren. Zu untersuchende Gegensätze sind besonders: Nekropole – Siedlung, Residenz – Provinz bzw. königlich – nicht-königlich, Nord – Süd usw. Überschneidungen im Material sind nicht nur durch den Belegzeitraum gegeben, sondern auch durch manche Personengruppen, die in Abydos, Buto und Elephantine nachgewiesen, deren Aufgaben aber nach wie vor ungeklärt sind (z.B. rnw, mjtr). Erst durch das Gegenüberstellen mehrerer Fundorte wird sich das Material adäquat analysieren lassen, da nur so nachgewiesen werden kann, welche Befunde für den jeweiligen Fundort typisch sind und welche Befunde gesamtägyptische Entwicklungen bzw. die der Verwaltungsorganisation betreffen.

 

1. Dyn.

2. Dyn.

3. Dyn.

4. Dyn.

5. Dyn.

6. Dyn.

Elephantine

 

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Naqada

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Abydos

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Buto

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Datierung der Verschlüsse mit Rollsiegelabdrücken an den einzelnen Fundorten

Ein differenziertes Beobachten der Verschlusstypen soll helfen, in den Siedlungen solche Siegel zu erkennen, die vor Ort im Einsatz waren (z.B. auf Türen, Speichern usw.), im Gegensatz zu solchen, die von außerhalb in den Fundort hinein getragen werden konnten (z.B. auf Papyri), da erst dieses Wissen das Lokalisieren einer Institution ermöglicht. Die Art des Verschlusses bietet zugleich Hinweise auf die bewirtschafteten Produkte und damit die Möglichkeit, die unterste Ebene der Verwaltung von Produkten zu erkennen.

Der sich über mehrere Jahrhunderte von der frühen 1. bis in die 5./6. Dynastie hinein erstreckende Untersuchungszeitraum soll die Veränderungen beleuchten, durch die Ägypten immer mehr unter staatliche Kontrolle geriet, die zwar immer wieder angenommen, deren verwaltungstechnische Mechanismen aber nicht letztendlich geklärt wurden. Daher ist der Untersuchungszeitraum so ausgewählt, dass die immer noch in der Forschung vorhandene künstliche Trennung in Frühzeit und Altes Reich überbrückt wird.


Literaturverzeichnis

Andrassy 1987/2011: Petra Andrassy, Untersuchungen zum ägyptischen Staat des Alten Reiches und seinen Institutionen, Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie XI, Berlin/London 1987/2008.

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